Exklusiv-Rant: Wegen Google verliere ich meinen Job

Geschrieben von Alex Ney am 19. April 2024

Wegen Google verliere ich meinen Job

Ja, ich werde zum 1. Mai dieses Jahres meine Festanstellung verlieren. Wegen Google. Nein, der Tech-Konzern gewährte meinem Arbeitgeber keinen Einblick in mein mitunter sündhaftes Suchverhalten. Der Grund ist vielmehr ein einschneidendes Update für Googles Suchmaschine, genannt „Helpful Content Update“, kurz: HCU.

Puh, echt jetzt? Was genau tut denn dieses HCU? Nun, dir wird sicher klar sein, dass mächtige Firmen wie Google solche Fragen nur in undurchsichtigem Marketing-Sprech kommentieren. Oder, und das wissen Journalisten nur zu gut, eine Antwort bleibt gänzlich aus.

Denn in der Wirtschaft ist es ja nicht anders als in der Politik: Dort macht es genauso den Anschein, als hätten wir mit den Akteuren ein Abkommen geschlossen. Ein Abkommen darüber, dass maximal unverständliche Formulierungen und vermiedene Stellungnahmen völlig okay sind.

HCU: Zum Wohle des Google-Nutzers?

Aber bleiben wir beim HCU. Freilich lässt sich zumindest etwas darüber sagen, was die sichtbaren Auswirkungen dieses Updates sind. Vereinfacht gesagt macht es, dass sogenannter „User-Generated Content“ – also Texte, die von Internetnutzern wie dir und mir getippt werden – in den Suchergebnissen stark nach oben rutschen. Die größten Gewinner sind dabei Reddit und andere Diskussions-Websites, beispielsweise Gutefrage.

Dagegen drückt Google viele (semi-)professionelle Medien und Blogs künstlich in den Suchergebniskeller. Warum? Tja, manche vermuten, dass das kalifornische Unternehmen damit auf die Schwemme an „AI-Generated Content“ reagiert.

Gemeint sind damit Retortentexte aus der Feder von künstlichen Intelligenzen wie ChatGPT, die Google vielleicht nicht verhindern, aber mehr oder weniger elegant aus dem Sichtfeld des Nutzers schieben kann.


Google-Suche nach Dragon’s-Dogma-2-Charakteren

Google-Suche nach den Charakteren von Dragon’s Dogma 2. Seit dem HCU sind Nutzer- und YouTube-Inhalte auf dem Vormarsch. (Quelle: Spieleburg)


Offiziell lässt Google hierzu nur Promotion verlauten. Demnach helfe das HCU dem User, indem es die Qualität des Internets verbessere. Etwas Popcorn dazu? Das ist natürlich kompletter Nonsens, weil Googles ach so hilfreiches Update journalistische (Gaming-)Inhalte ihrer Sichtbarkeit beraubt.

Es trifft also Content, der klaren Qualitätsrichtlinien unterliegt – im Gegensatz zum User Generated Content, deren Produzenten sich allzu oft berufen fühlen, den größten Unsinn in die Welt zu … nein, das schreibe ich jetzt nicht.

Nicht falsch verstehen: Ich bin mir dessen wohl bewusst, dass im WWW enorm wertvolle Nutzerinhalte auf ihre Entdeckung warten. Ich habe selbst schon viele Male von den Tipps und Tricks der Reddit- oder Fandom-Schreiber profitiert.

Ich denke jedoch, dass mir quasi jeder zustimmen wird, wenn ich sage, dass solche Wissensschätze im Netz klar in der Unterzahl sind. Und schon deswegen wird echtes Nutzergold infolge des HCU höchstens marginal sichtbarer.

Googles HCU bestraft Websites auf unbestimmte Zeit

Für Betroffene wirft das Helpful Content Update (allmählich muss ich beim Schreiben dieses Namens lachen) mindestens zwei drängende Fragen auf. Erstens: Nach welchen Kriterien bewertet Google einen Inhalt im Netz? Und zweitens: Wie lange bestraft Google „schlechte“ Websites?

Im Grunde kannst du dir die Antwort auf beide Fragen sicher denken: Auch hier darf man wieder die illustre Raterunde seines Vertrauens befragen. Unstrittig ist aber, dass Gott Google seinen Web-Schafen, den Websites, „Classifier“ aufdrückt, die sie offenbar auf unbestimmte Zeit in schwarz und weiß unterteilen.


Zeus

Googles Algorithmus bei der Arbeit. (Symbolbild)


Das Perfide an einem schlechten Classifier ist, dass so jegliche Gegenmaßnahmen – etwa verbesserte Suchmaschinenoptimierung oder qualitativ hochwertigere Inhalte – zwecklos sind. Die Wertigkeit einer Website kann sich also noch so stark verbessern: So lange der Negativ-Classifier auf ihr ruht, wird sie in den Suchergebnissen mit einem desolaten Ranking bestraft.

Dies beschneidet selbstredend die Werbeeinnahmen der Site und sie kann in der Folge in ihrer Existenz bedroht sein. Denn wodurch finanziert sich in der Regel ein Web-Projekt? Na klar: Durch leider oftmals nervige Werbung.

Zwar liest man im Netz nun hier und da, dass manche Internetseite ihren, und jetzt muss ich leider doch mal deutlich werden, „Shitifier“ verloren habe. Doch es ist eine Tatsache, dass viele Medien noch immer unter dem im letzten Jahr ausgerollten HCU schnauben, was mir übrigens auch die Suche nach Auftraggebern erschwert.

Meinen zukünftigen Ex-Arbeitgeber traf das HCU besonders hart. So verlor seine Medienseite schlagartig über 80 Prozent ihrer täglichen Seitenaufrufe; zeitweise waren es sogar 90 Prozent.

Die dadurch rapide gesunkenen Werbeeinnahmen ließen sich ungefähr ein Jahr lang kompensieren, danach blieb meinem Chef nur noch, sämtliches Personal vor die Tür zu setzen. Für ihn heißt es jetzt: Warten auf Googles Wohlwollen – bis endgültig das Geld ausgeht.

Google: Wir machen, was wir wollen

Das Helpful Content Update zeigt erneut, dass „Big G“ im Grunde machen kann, was immer diesem Moloch beliebt. Er muss weder seine Schachzüge öffentlich erläutern, noch muss er angesichts seines Einflusses und seiner obszönen Rücklagen etwas fürchten.

Für Otto Normalbürger ist Google ohnehin in etwa so greifbar, wie die Dachgeschossphantome der Europäischen Zentralbank. Als Website-Inhaber mal eben Googles Abteilung für schlechte Ideen anschreiben und darauf hinweisen, dass das HCU gerade zu Unrecht auf der Seite herumtrampelt? Da könnte man genauso gut versuchen, seine Gedanken mithilfe von langen Haaren auf einen Aldebaraner zu übertragen.

Ja, Google muss sich seit September 2023 in den USA wieder mal vor Gericht verantworten. Hierzu der Ökonom Justus Haucap gegenüber der Wirtschaftszeitschrift Capital: „Die Zerschlagung von Google hängt wie ein Damoklesschwert über dem Techkonzern. […] Ich vermute, es kommt eher zu einer außergerichtlichen Einigung – wie damals im Microsoft-Prozess.“


Zeus

Symbolbild: Google (rechts) vor Gericht.


Oder anders gesagt: Kennt man alles schon. Das besagte Damoklesschwert ist wahrscheinlich an einem besonders reißfesten Pferdehaar befestigt worden. Ich persönlich würde auch ohne Haucaps geschätzte Expertenmeinung mein letztes Monatsgehalt darauf verwetten, dass der Angeklagte den Gerichtssaal erhobenen Hauptes und mit einem „Bis später“ auf den Lippen verlassen wird.

Von nun an ohne mich

Google mag die robuste Eiche sein und ich die borstige Sau, die sich an ihr reibt. Dennoch habe ich aus den Ereignissen meine Konsequenzen gezogen, indem ich alles, was sich Google nennt, krachend von meinem Rechner geschmissen habe. Allem voran Chrome und natürlich die HCU-fizierte Suchmaschine.

Der Gedanke, künftig auf Googles Suchtechnologie verzichten zu müssen, tat im ersten Moment etwas weh. Denn die Masse der Internetsurfer verwendet Google ja nicht nur deshalb, weil es einfach „jeder“ tut, sondern auch, weil hier die Suchergebnisse stimmen. Meistens.

Dann habe ich mir allerdings den (Achtung, es folgt unbezahlte Schleichwerbung) Brave-Browser näher angesehen und fragte mich kurz darauf schon, was zur Hölle ich vorher eigentlich nur gemacht habe. Chrome? Das musste ich spaßeshalber dem in Brave integrierten KI-Assistenten Leo erzählen. Hier, was er so über Googles Browser „denkt“:


„When it comes to web browsers, Google Chrome is a popular choice due to its speed, simple interface, and the wide range of extensions available. However, it's always important to consider factors such as privacy settings and data usage when choosing a browser.“ - Leo (Brave)


Auf Deutsch: „Im Bereich der Webbrowser ist Google Chrome aufgrund seiner Geschwindigkeit, einfachen Benutzeroberfläche und des breiten Spektrums an verfügbaren Erweiterungen eine beliebte Wahl. Dennoch ist es immer wichtig, Faktoren wie Datenschutzeinstellungen und Datenverbrauch bei der Auswahl eines Browsers zu berücksichtigen.“


Wäre Leo eine Hauskatze, hätte ich ihm für diese Antwort sofort eine Extra-Mahlzeit serviert. Auch als Zeichen meiner Gesamtzufriedenheit, zumal die Suchhunde von Google und Brave annähernd auf Augenhöhe bellen. Gut: Diese Quasi-Augenhöhe kostet bei Brave 3 Euro im Monat, aber das ist ein sehr geringer Preis für fühlbar mehr Datenschutz.

Für mich steht daher fest: Google kann, nein, muss weg. Und das nicht nur aus dem Internet. Genauso muss Google raus aus den Häusern, raus aus den Autos, einfach raus aus allem. Das ist nämlich notwendig, sieht man, wie die weltgrößte Datenkrake Geschäftsfeld um Geschäftsfeld erobert – und mittlerweile selbst darauf abzielt, unser höchstes Gut zu überwachen: unsere Gesundheit.

Nein, (Doktor) Google. Von nun an ohne mich.


Zeus

Google (links) und ich. (Quelle: Peggychoucair und webandi bei Pixabay)


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